Damals, als kleiner Junge, war ich stolz darauf, Honeckers Antlitz an einem Stab, Stiel, Stock, durch die Straßen von Brandenburg zu tragen. Allerdings machte die Verantwortung sich recht schnell in den Oberarmen bemerkbar. Die Hälfte der Strecke, mehr war nicht zu machen. In der Mitte angekommen, musste mein Stiefvater wieder die tragende Rolle übernehmen, was ihm eher zu missfallen schien: "Du machst das doch so gut", sagte er mit Händen in den Taschen, "Verantwortung kann man gar nicht früh genug lernen". Doch in der Mitte ging es nicht mehr. Enttäuscht nahm er mir das Schild aus den Händen und ich fing an, in Scham, mir gut zuzureden, nächstes Jahr schaffst Du es über die Mitte hinaus, vielleicht sogar bis ans Ziel. Es war eine sportliche Herausforderung.
Im letzten Jahr erlebte ich den 1.Mai in Leipzig.
Der Bahnhof war voll von Polizei, bunten Menschen und unglaublich vielen Leuten mit Haarproblemen, die hier wohl ein jährliches Treffen gesamtdeutscher Selbsthilfegruppen veranstalteten.
Nun wäre die Sache recht angenehm und erfrischend gewesen -endlich bot Leipzig mal etwas Abwechslung- hätte für mich die Möglichkeit bestanden, nach Hause zu kommen.
Die Straßen waren vermutlich für einige Stunden an diese Selbsthilfegruppen und ihre farbenfrohen Gegner, sowie der grünen Entschlossenheit vermietet.
Meine Versuche, von links in die Straße zu kommen scheiterten spätestens an den großflächigen Lagerfeuern, welche die Straße von ihrem tristen Grau in ein kuschlig warmes Farbenspiel tauchte. Ebenso lief meine Absicht, dasselbe über rechts kommend zu versuchen, ins Leere. Dort stand eine Wand von Staatsdienern. Einige von ihnen müssen wohl an dem seltenen Phänomen der Lichallergie gelitten haben, da sie bis zum Kopf dick eingepackt waren. Kein Stück Haut blitze hindurch.
Ich war also Zeuge eines einmaligen multikulturellen Hochfestes.
Doch zurück zum eigentlichen Problem.
Wie kam ich wohl nach Hause? Die Taschen wurden schwer, das Bahnhofsessen ist längst schon erforen und ich wollte nichts weiter als abstellen, setzen, essen.
Nun, sagte ich mir, nun sage ich mir folgendes: Wenn es weder über links einen Weg gibt, noch über rechts, dann gehe doch einfach über die Mitte. Irgendwie muss es doch einen Weg geben, der annähernd dahin führt, wo ich hin möchte, und dieser kann nur mittig meiner Traumstraße verlaufen, diese womöglich überqueren, oder sonstiges bitte ankreuzen - mein Logikstudium konnte jetzt zeigen, was ich von ihm halten sollte. Die Mitte also, da war sie wieder. Und wenn ich es so schaffe, zum Zimmer zu gelangen, dann gab es von meiner Seite aus keine Bedenken, mich wieder mit der Mitte zu versöhnen.
Ich hatte es wirklich geschafft.
Kaum abgestellt, hingesetzt, gegessen, näherten sich schleichend sämtliche Festlichkeiten, von links kommend, von rechts kommend und trafen sich, wenn man so will,genau unter meinem Fenster. Hier lag er nun, der große Schlüssel zur Versöhnung, hier war der Mittelpunkt.
Ich war gerührt von so viel Tragweite.
Ach ja ,der 1.Mai. Ein schöner Tag.
Donnerstag, 5. April 2007
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